GEDENKREDE VON SIEGFRIED DE RACHEWILTZ
anlässlich der Andreas Hofer Gedenkfeier in Mantua, 20. Februar 2016
Hochwürdiger Landeskurat, geehrter Landeskommandant, geehrter K&K Freundeskreis und Heimatschutzverein Lana, liebe Bürgerkapelle Obermais, liebe Marketenderinnen und Schützenkameraden, autoritá e cittadini di Mantova .
Come prima cosa, permettetemi di porgere, anche da parte mia, un saluto ed un ringraziamento a tutta la cittadinanza di Mantova, che da anni ci accoglie con simpatia e comprensione. Mantova, cittá d’arte e di cultura, che ha saputo conservare e valorizzare il suo immenso patrimonio storico, di cui anche questo luogo, ormai da oltre due secoli, fa parte.
Wir stehen hier versammelt vor der Gedenkstätte Andreas Hofers und stellen uns die Frage: was kann uns dieser Mann, der vor über 200 Jahren hier dem Tod ins Antlitz blickte, heute noch sagen? Gibt es eine Botschaft oder eine Lehre, die man aus den Ereignissen von 1809 und 1810 ziehen und für die heutige Zeit noch anwenden kann? – In anderen Worten, ist Andreas Hofer noch aktuell?
Man hat im Laufe der Geschichte mit dem Sandwirt allerhand Schindluder getrieben, er musste für jeden nur erdenklichen Anlass herhalten. Darüber ist so viel geschrieben worden, dass es keiner weiteren Ausführungen bedarf. Kein Wunder also, wenn man in den vergangenen Jahren die Demontage des „Mythos Hofer“ mit großem Eifer und entsprechendem Aufwand betrieben hat – ja, ihn dermaßen „aufgearbeitet“ hat, dass man den Eindruck gewinnen musste, am Ende sei nur mehr ein Häufchen Elend zurückgeblieben.
Die Frage, welcher Art von Helden unsere Gesellschaft heute bedarf, ist zweifellos berechtigt: deswegen aber die Figur Hofers auf seine, sicherlich vorhandenen, menschlichen Schwächen festzunageln bzw. zu reduzieren, ihn als heillos überforderten Säufer darzustellen, wie dies manchmal geschehen ist, bedeutet weit übers Ziel hinauszuschießen.
So etwas können nur „Historiker“ behaupten , die in ihrem Leben nie mit einer Schützenkompanie in Berührung gekommen sind, ansonsten müssten sie wissen, dass es ein solcher Mensch nie und nimmer zum Kommandanten einer Kompanie, geschweige denn zum „Ober-Commandanten in Tyrol“ geschafft hätte.
Er muss also doch noch über andere menschliche Eigenschaften verfügt haben, dieser Hofer, sonst wären ihm seine Schützen gewiss nicht auf den Berg Isel gefolgt.
Dennoch, eine Frage steht noch im Raum: was bleibt von der Lichtgestalt Andreas Hofer wenn man ihm seine heldenhafte Aura, seinen Mythos, wegnimmt ?
Das erste, was mir da ganz spontan in den Sinn kommt ist etwas, was wir derzeit leider allgemein, vor allem aber auch im politischen Agon (d.h. auf der politische Bühne) arg vermissen, nämlich WÜRDE, jene Würde, die Andreas Hofer hier, in den letzten Tagen seines irdischen Lebens, bewahrt und unter Beweis gestellt hat. Und mögen die Zeitzeugen auch übertrieben haben: sein Abschiedsbrief ist erwiesenermaßen keine Fälschung.
Würde: darüber lohnt es sich, einige Gedanken anzustellen.
Das Wort und vielleicht auch der Begriff mag dem einen oder anderen im ersten Moment als antiquiert und unmodern erscheinen – ist es aber keinesfalls, wenn wir das Bedeutungsspektrum dieses Wortes näher unter die Lupe nehmen.
Schon Jakob und Wilhelm Grimm haben auf die Sprach- und Sinnverwandtschaft von „würdig“ und „wert“ hingewiesen: man ist einer Sache würdig oder einer Sache wert, es bedeutet dasselbe.
Und damit sind wir wieder bei Andreas Hofer: der Sandwirt und seine Landesverteidiger haben 1809 für ihre Werte gekämpft, für ihre Vorstellung von Freiheit, Religion und für die in der alten Tiroler Verfassung verbrieften Rechte des Tiroler Volkes, d.h. für ihre Vorstellung von Selbstbestimmung. Dass Wien schon damals diese Rechte nicht mehr honorieren oder nach eigenem Gutdünken interpretieren wollte, ist Geschichte.
Wertvorstellungen sind bekanntermaßen einem ständigen Wandel unterworfen: jene Andreas Hofers und seiner Zeitgenossen waren anders als jene, für die z.B. vierzig Jahre später, 1848/49 andere Tiroler im ersten deutschen Parlament, in der Frankfurter Paulskirche, gekämpft und gestritten haben. Hier ging es um die Grundrechte des deutschen Volkes und zu diesen gehörten Meinungsfreiheit , Religionsfreiheit, Pressefreiheit und damals sogar schon der Minderheitenschutz.
Wir alle wissen, dass weder den Bestrebungen von Anno Neun noch jenen der Revolution von 1848 Erfolg beschieden war: es mussten noch hundert Jahre und zwei Weltkriege mit Millionen von Toten vergehen, bis die Grundrechte des deutschen Volkes in einer Verfassung fest verankert wurden.
Wichtig indes bleibt folgendes Faktum: was die Landesverteidiger und Vorstreiter von 1809, von 1848 und auch jene der 1960er Jahre, trotz aller Unterschiede des historischen Kontexts, miteinander verbindet ist, dass sie alle für ihre Werte gekämpft haben – und nicht für Wertpapiere. Daraus schöpften sie ihren Mut, ihre Würde, ihre Selbstachtung.
Ist es heute, in diesem verängstigtem, konfusem und kopflosen Europa, wo einzelne Staaten wieder im nationalen Schneckenhaus Zuflucht suchen, wo die Interessen von Großbanken und Finanzkartellen die Würde und Rechte des Einzelnen mit Füssen treten, ist es da überhaupt noch möglich, eine Wertediskussion zu führen ?
Spätestens jetzt, wo wir täglich zusehen müssen, wie fundamentale Entscheidungen über unsere Köpfe hinweg getroffen werden, spätestens jetzt müsste allen klar sein, dass wir diese Diskussion schon längst hätten führen sollen.
Ich zitiere eine Helden unserer Zeit: „I have a dream“… Stellen wir uns vor, Andreas Hofer wäre zurück und wäre, warum nicht, Landeshauptmann. Was würde er tun ?
Ich glaube er würde als allererstes einen Dreierlandtag auf Schloss Tirol einberufen, dort wo er schon im April 1809 seine Passeirer und Burggräfler Schützen auf den Freiheitskampf eingeschworen hat: dieser Landtag würde den Beschluss fassen , in allen Teilen des historischen Tirols eine Volksbefragung durchzuführen, bei der die Bevölkerung darüber bestimmt, ob sie in einer eigenständigen Europaregion Tirol, in einem Freistaat oder in was immer für einem Staatsgebilde leben und sich entfalten möchte.
In einem anderen Szenario würde der Sandwirt nach wie vor sein Gasthaus und seinen Hof bewirtschaften – vielleicht sogar einen Bio-Hof.
Er und seine Anna würden möglicherweise eine Bewegung anführen, die sich den zivilen Ungehorsam gegen den Beamten- und Bürokratenterror aus Brüssel, Bozen und Rom auf die Fahne geschrieben hat.
So oder so: als Wirt weiß der Ander sehr wohl, dass Miteinander Reden Leute zusammen führt. Und vor allem weiß er, dass wenn man von seinem Gegenpart Respekt verlangt, ihn nicht von vornherein verteufeln darf: er hält also nichts vom gegenseitigen Aufkleben von Etiketten, vom Schablonendenken, von ausgefransten Feindbildern und dümmlichen Dämonisierungen, von denen nur jene profitieren, die in trüben Gewässern fischen und im Dickicht der Politik ihre Geschäfte treiben. Was er nicht verstehen kann, ist wie sich ein Kulturvolk – und als solches betrachtet er seine italienischen Mitbürger – lieber auf gefälschte Urkunden beruft, anstatt die echten Flur- und Ortsnamen als historisches Gemeingut zu betrachten, auf das alle gleichermaßen stolz sein können, weil niemand auf gewachsene Namen einen Besitzanspruch anmelden kann, nicht einmal Monsanto oder der TTIP.
Ja, es gibt da so einiges, worüber der Sandwirt nur den Kopf schütteln würde.
Aber eine Botschaft hätte er für uns ganz bestimmt und die könnte so lauten: „Tiroler! Wenn euch dieses Land am Herzen liegt, dann ist es Zeit Stellung zu beziehen. Jeder soll seine Meinung vorbringen – nur: resignieren, gleichgültig sein , das gilt nicht!“
Womit wir abschließend wieder hier zu diesem Ort und zu dieser Stadt zurückkehren: denn hier in Mantua wurde jener Dichter der Antike namens Vergil geboren, den sich Dante Alighieri in seiner „Göttlichen Komödie“ als Führer durch das Inferno und beim Besteigen des Läuterungsberges erwählte. Im 3. Gesang stoßen die beiden in der Vorhölle auf eine Riesenschar jammernden Gestalten und Vergil erklärt seinem Schutzbefohlenen, dies sei die Horde der Gleichgültigen und Feigherzigen, jener, die aus Trägheit weder gut noch böse waren, lasche Seelen die aus Bequemlichkeit und Kalkül in ihrem Leben nie Stellung bezogen .
Dante, der Florentiner, der für sein politisches Engagement ein fast lebenslanges Exil erdulden musste und trotzdem nie aufhörte, die würdelose Habgier der Machthaber seiner Zeit zu geiseln, empfindet für solchen Gestalten nur Verachtung: sogar dem Satan sind sie es nicht wert, in die Schar der echten Sünder aufgenommen zu werden. Und so verharren sie für ewig im Vorzimmer der Hölle, zusammen mit den Engeln, die sich nicht entscheiden konnten, ob sie für oder gegen Luzifer Stellung beziehen sollen.
Liebe Schützenkameraden, lasst es uns klar und deutlich aussprechen: Gleichgültigkeit und Opportunismus stellen heute die größte Bedrohung für unsere Heimat dar, jener Heimat, die wir uns als Raum der Freiheit und des Rechts bewahren wollen.
Lasst uns daher hier vor diesem Ehrenmal der Beherztheit und des Großmuts Andreas Hofers gedenken und uns vor all jenen verneigen, denen Würde und Selbstachtung wichtiger waren als diese „schnöde Welt“.
An dieser Stelle möchte ich mich noch beim Schützenbezirk Burggrafenamt Passeier und beim Bezirksmajor Andreas Leiter Reber bedanken, für die Ehre, heute hier in Mantua diese Gedenkrede halten zu dürfen.
Tirol, es lebe hoch !
Siegfried de Rachewiltz
Schützenkompanie Dorf Tirol
Eine eindrucksvolle Rede die zum Nachdenken anregt und zum Handeln ermuntert. Sehr gut gesprochen !