Kultur

„Tirol war und ist ein seltsames Land“

Tiroler Schützen: Wer sind sie? Was sind sie? Was tun sie?


Ein Erklärungsversuch einer heimatgeschichtlich wichtigen Gestalt.

von Peter Piock

Foto: Perkmann
Foto: Perkmann

Werter Leser, sagen Sie jetzt bitte nicht: „Weiß ich schon“, und verlassen diese Seite. Möglich, dass Sie nur Klischees kennen wie: Rabauken, Extremisten (was immer das ist), Raufbolde, Idealisten oder frei nach Asterix: Die spinnen, die Schützen! Wie alle Klischees, haben auch diese einen kleinen Schönheitsfehler – sie sind falsch. Darum, werter Leser, schieben Sie erstmal das Kriterium „gut“ oder „schlecht“ beiseite und gehen mit mir an den Kern der Fragen:

Wer sind die Tiroler Schützen?

Nehmen wir an, Sie haben das Wort Schützen nie gehört, dann will ich Ihnen beim Nachschlagen behilflich sein. Der Brockhaus kennt in der Fülle von 130.000 Stichwörtern den Schützen nur als Wasserwehr oder elektrisches Schaltgerät, der Duden führt zusätzlich einen Schießenden auf, ist aber auch nicht hilfreicher. Also schlagen wir im „Handbuch für den Schützen“ nach, dort finden wir in den Satzungen unter §3 Absatz a:

„Aktive Schützen können sein: Möglichst ortsansässige Tiroler Männer nach Vollendung des 16. Lebensjahres, wenn sie um die Mitgliedschaft ansuchen. . .“ Außerdem sollten sie einen einwandfreien Leumund sowie tirolische Gesinnung besitzen, und sie müssen sich an die Beschlüsse ihrer Kompanie bzw. des Verbandes halten.

So, nun wissen Sie alles über den rechtlichen Stand, aber immer noch nichts über den MENSCHEN, der ein Tiroler Schütze ist – was ist ein Schütze unter seiner Tracht?

Schütze Otto Heufler  Foto: O. König

Die Antwort ist so simpel, dass sie fast schon unglaubwürdig wirkt: Es sind ganz normale Leute, die den Mut haben für etwas – und nicht wie manche angeblich progressive Kreise – gegen etwas einzutreten.

Ja, es braucht Mut, Schütze zu sein und sich offen dazu zu bekennen ­­­– trotz Krankbetens und jahrelanger Verdächtigungen. Es ist schwer, besonders im südlichen Tirol, Farbe zu bekennen und für Heimat, Tiroler Eigenart und die Rechte des Tiroler Volkes einzustehen. Es ist eine teuflische Sache, sie setzt voraus, dass man Vergleiche nicht scheut. Erklärt man Vaterland für komisch und Liebe für eine Variante des Harndrangs, dann hat man es leicht und muss sich nicht sorgen, dass an einen moralische Ansprüche gestellt werden. Bezieht man die Ideale mit ein, so werden sie an einem selbst zu erbarmungslosen Maßstäben.

Schützen sind moderne Menschen, natürlich sind sie keine hehren Gestalten oder Heilige ohne Fehl und Tadel. Sie sind Bauern und Zahnärzte, Schuldiener und Maurermeister, Pensionisten und Schüler, Kraftfahrer und Elektrotechniker, Generaldirektoren und Holzfäller. Sie alle aber vereint die Liebe zur Heimat und Kameradschaft dieses Verbandes. Wenn sie von Heimatliebe sprechen, meinen sie auch Menschlichkeit und Demokratie. Wer weiß, vielleicht würden auch Sie, werter Leser, sich bei den Schützen zu Hause fühlen? Doch vorher will ich noch die beiden anderen Fragen beantworten.

Was sind sie?

Um diese Frage klar zu beantworten, muss ich kurz in die Geschichte zurückgreifen, keine Angst, es dauert nicht lange. Tirol, ich meine das alte Tirol, war ein seltsames Land, es war und ist zum Teil noch heute einmalig in der Welt. Nicht wegen seiner unleugbar schönen Landschaft, sondern im politischen Sinn.

Im Jahre 1289, also im tiefsten Mittelalter, zwei Jahre vor dem angeblichen Schweizer Bundeseid, schuf man in Tirol eine gewählte Ständevertretung, die im Auftrag der Bevölkerung an allen wichtigen Regierungshandlungen teilnahm. In ihr waren neben Geistlichkeit und Adel auch die Bürger und Bauern vertreten. Selbstverständlich ist nichts umsonst, aus jedem Recht erwächst auch eine Pflicht, ein Grundsatz, der heute nur allzu gern vergessen wird.

Für das Recht der Selbstverwaltung in den Gemeinden, der politischen Mitbestimmung und der Waffenfreiheit übernahm die Bevölkerung die Pflicht, Heimat und Land zu schützen und zu verteidigen, „gegen Feuer- und Wassernoth oder Feindschrei . . .“, wie es in den Gemeindeordnungen hieß. Diese Aufgebote, die Schützen, waren die Verteidigungsmacht des Landes. Kaiser Maximilian I. reformierte, straffte und vereinheitlichte diese Verordnungen im sogenannten Landlibell von 1511. Sie sind heute noch beklemmend aktuell.

Geschichte_Schützen_Erbhuldigung_1838
Schützen- und Trachtenstudie bei der Erbhuldigung 1838; Bild: Grafiksammlung Landesarchiv.

Die Tiroler Schützenkompanien stellen als Reste eines über 700 Jahre alten und trotzdem modernen – ich wage zu sagen – einzig gerechten Landesverteidigungskonzeptes, eine Organisation von Einmaligkeitswert dar. Sie sind eine eigenartige Mischung aus Sportverband, Selbstschutz-organisation, Milizheer und Kameradschaftsbund freier Bürger und Bauern.

Sie waren in ihrer langen ruhmvollen Geschichte die reguläre Ordnungsmacht des Landes, keine Rebellen, Aufständische oder Partisanen. Mit Stolz können sie behaupten, wohl als einziges militärisches System nie einen Angriffskrieg geführt, wohl aber mit Einsatzbereitschaft und Mut das Land, die Heimat verteidigt zu haben.

Aus den Schützenkompanien gingen – durch die Spezialisierung bedingt – auch die Feuerwehren und die Musikkapellen hervor. Das Wesen, die Geschichte der Schützen ist so eng mit der Landesgeschichte verwebt, dass es dieses Land ohne die Schützen gar nicht gäbe. Noch heute hält die Kameradschaft eben dieser Organisation das alte freie „Land im Gebirge“ trotz der unrechten Teilung zusammen, oder wie in einer Ausgabe der FAZ zu lesen war: „ . . . die Schützen verkörpern die große Tradition des Tiroler Freiheitswillens und Einigungsgedankens. Daran reicht, weder an Ehrwürdigkeit noch an Menschlichkeit, nicht die Tradition des vornehmsten Englischen Garderegiments heran . . .“ Was meinen Sie, kann man sich damit identifizieren?

Was tun die Schützen?

Damit kommen wir zu einem Thema von fürchterlicher Strenge, es ist gewissermaßen das „Heiße Eisen“ der mittelalterlichen Gottesgerichte, von dem Hans Sachs sagt, nur der ganz Wahrhaftige könne es „neun Schritte tragen, ohne dass die Hand verbrennt“. Passen Sie auf, ob ich es neun Schritte tragen kann.

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Wetterkreuz beim Meraner_Segenbühel; Foto: P.Piock

Wie die meisten, werden auch Sie nur die nach außen sichtbaren Aktivitäten der Schützen kennen: Sie tragen die Tracht ihrer Talschaft, beleben und gestalten kirchliche Feste, führen die Beflaggung in ihrer Gemeinde durch, erhalten und erneuern Bauwerke unserer Kulturlandschaft.

Damit bekennen sich die Schützen offen zur Heimat und bezeugen, dass es Heimat gibt. Allein dadurch, so schreibt Prof. Otto König, hätten die Tiroler Schützen ihre Daseinsberechtigung mehr als bewiesen. Denn das ist ein selten gewordener Wert in einer unsicheren, wankelmütigen Zeit.

Doch damit dürfen sich die Schützen keinesfalls begnügen. Denn besonders für das südliche Tirol ist es von weit tragender Bedeutung, dass sich Europa im Umbruch befindet. Wir erleben nicht nur die größten Veränderungen seit 60 Jahren, sondern es könnte der größte Wandel seit dem Aufkommen der Nationalstaaten vor über 200 Jahren werden. Da müssen auch die Tiroler Schützen aktiv mitgestalten, d. h. moderne Menschen werden die politischen Ziele mit einem neuen demokratischen Selbstbewusstsein verwirklichen.

Schützendemo_Siegesdenkmal_1991
Schützendemo beim Bozner „Siegesdenkmal“ 1991

Da braucht es Festigkeit und Selbstbewusstsein schon in den Gemeinden, um sich zu behaupten. Hier müssen die Schützen beispielhaft an der Spitze stehen. Das ist eine große bedeutsame politische Aufgabe für die „Verteidigungsmacht des Landes“. Die Geschichte der Tiroler Schützen ist nicht die Geschichte der Trachten und Auszeichnungen, der Feste und Aufmärsche, sondern sie ist die Geschichte des kämpferischen Einsatzes in der jeweiligen Zeit. Schützen waren allezeit eine politische – nicht parteipolitische – Kampfgruppe. Wer sie dieses Charakters beraubt, beraubt sie ihrer Identität und degradiert sie zur Theatergruppe. Eine Identitätskrise der Schützen käme einem fehlenden Bekenntnis zum politischen Auftrag der Schützen gleich.

Das Kapitel über das „Heiße Eisen“ ist beendet. Meine Hand ist unversehrt geblieben, dennoch habe ich mir wahrscheinlich die Finger verbrannt.

Die Tiroler Schützen arbeiten, der Tradition verhaftet – der Gegenwart verpflichtet, für die Zukunft eines freien einigen Tirols, in einem freien geeinten Europa.

Ist das nicht eine schöne Aufgabe?


2 thoughts on “„Tirol war und ist ein seltsames Land“

  1. Gut geschrieben und formuliert Peter.
    Ich stimme dir voll und ganz zu. Ich hoffe, dass das auch viele Nicht-Schützen lesen und ein richtiges Bild von uns bekommen! Schützen Heil und alles Beste für die Heimat!
    Hannes Holzner

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