Unser Land

Jeder hier kennt die Redensart: „Adel verpflichtet“…

Wer beim Anblick des Schloss Tiroler Kapellenportales, angesichts der die gesamte Menschheit umfassenden Umarmung des am Lebensbaum Gekreuzigten nicht einen Anflug von Großherzigkeit verspürt, dem ist nicht zu helfen.

DORF TIROL – Festrede zur 40 Jahr Feier der Schützenkompanie Dorf Tirol von Siegfried de Rachewiltz

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Siegfried de Rachewiltz, Direktor des Museums “Brunnenburg” oberhalb von Meran, ist Autor zahlreicher Publikationen zu Volkskunde und Kulturgeschichte. Von 1991 bis 2014 war er Direktor des Landesmuseums Schloss Tirol. De Rachewiltz ist Mitglied der Schützenkompanie Dorf Tirol und war für einige Jahre Bundeskulturreferent des SSBs.

„Liebe Schützenkameraden aus allen Teilen des historischen Tirols, liebe Marketenderinnen, hochwürdiger Schlosskaplan, lieber Direktor, liebe Musikanten, verehrte Festgäste

Jeder hier kennt die Redensart: „Adel verpflichtet“…

Damit wollte man zum Ausdruck bringen, dass eine lange und glanzvolle Familiengeschichte den Träger eines gewissen Namens und Prädikates dazu verpflichten würde, selbst einen untadeligen und ehrenvollen Lebensstil zu führen, um eben seinem Namen alle Ehre zu machen.
Wie ungleich größer aber ist die Verpflichtung, die aus der gemeinsamen ruhmvollen Geschichte einer ganzen Gemeinschaft – gekennzeichnet von Tatkraft, Tapferkeit und Treue – den Nachfahren dieser Gemeinschaft erwächst?
Der Boden, auf dem wir stehen, ist mit Geschichte getränkt.
Auf den Pfaden, auf denen wir heute noch schreiten wanderten schon Ötzis Zeitgenossen, gefolgt von Rätern, Römern, Langobarden, Bajuvaren und Franken.
Jäger, Ackerbauern, Pilger und Soldaten: sie alle, beeindruckt von der Majestät dieses Ortes, haben hier vermutlich gebetet, gebaut oder gar um ihr Leben gekämpft.

 Als weithin sichtbares Zeichen kaiserlicher Macht wurde hier schon im 11. Jahrhundert Schloss Tirol erbaut, die Namensgebende Wiege des Landes. Durch die Ehe von Meinhard II Tochter Elisabeth mit König Albert I von Österreich-Habsburg wurde sie zur zweiten Stammburg der Habsburger; hier besiegelten Albrecht III und Leopold III durch die Stiftung des Schloss Tiroler Altars 1370 die Einverleibung Tirols in das Habsburgerreich bei dem es bis 1918 verblieb.
Hier, auf diesem Hügel mussten noch im 16. Jahrhundert die Dorf Tiroler Schützen das Kreidenfeuer bereithalten und im Notfall anzünden: hier, in der Waffenkammer der Burg, verwahrten sie ihre Musketen und Hellebarden.
Von dieser Anhöhe aus verkündeten am 27. Juni 1703 Böllerschüsse das Anrücken der Truppen des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern: im sogenannten „boarischen Rummel“ zwangen Landmiliz und Schützen nach erbitterten Kämpfen die Angreifer das Land wieder zu räumen.
Dann schlug die Stunde des Korsen: 1796 formierte Dorf Tirol für die Landesverteidigung eine neue Schützenkompanie, die im März gegen die französischen Truppen ihre Stellung bei Vöran erfolgreich verteidigte. Für diese Verdienste erhielt die Dorf Tiroler Schützenfahne – wie auch jener der Algunder Kompanie – 1798 die große Ehrenmedaille.

 Anno Neun: wie sehr man damals Schloss Tirol als das Symbol der Landeseinheit und der Landesidentität schlechthin verstand und in Ehren hielt, bezeugt die Tatsache, dass Andreas Hofer, bevor er in den Kampf zog, am 8. April mit Passeirer und Burggräfler Schützen hierherzog um gemeinsam mit dem Hofkommissär Joseph von Hormayr vom „alten heiligen Hauptschlosse Tyrol“ wieder Besitz zu ergreifen.
Zu den ersten, die damals in den Plänen des Sandwirts eingeweiht waren und zur sogenannten „alten Garde“ gehörten, zählten der Dorf Tiroler Widumbaumann Jakob Flarer und der Dorf Tiroler Schulmeister und Organist Jakob Elsler.
In der ersten Schlacht am Berg Isel – am 25. Mai – kämpften die Dorf Tiroler Schützen am linken Flügel.
In der zweiten Schlacht – am 29. Mai – beanspruchte Hauptmann Flarer für seine Kompanie „die Ehre des Vorstreites, die seit jeher den Schützen von Dorf Tirol gebühre, weil in dessen Gemarkung das Stammschloss des Landes liege“.
„Wo die Flamme der Freiheit am hellsten und kräftigsten aufloderte, da wurde sie auch zuletzt ausgelöscht: vor dem Angesichte der ehrwürdigen Fürstenburg Tirols…“
So beschrieb Coelestin Stampfer in seiner Chronik die Schlacht am Küchelberg vom 16. November 1809: es war die letzte größere Schlacht zwischen Tiroler und Franzosen. Auch Schloss Tirol wurde damals schwer umkämpft, kurz eingenommen und wieder befreit.
2009 hat die Schützenkompanie Dorf Tirol am Segenbühel einen Gedenkstein als Erinnerung und Mahnmal aufgestellt.
Es gäbe da noch so manches erwähnenswerte Ereignis im Laufe des 19. Jahrhunderts, bei dem die Schützen eine zentrale Rolle spielten: der Kürze halber seien hier nur zwei angeführt:
1838 begleiteten sie im feierlichen Zug Kaiser Ferdinand und Erzherzog Johann zur Burg, wo der Enkel Andreas Hofers mit dem Sandhof belehnt wurde und die Veteranen von Anno Neun, Mathias Ladurner Oberdorner von Algund und Blasius Trogman von Mais, eine Ehrenmedaille erhielten.
Zehn Jahre später – 1848 – schwenkte die Wiener Akademiker Kompanie Tiroler Schützen – angeführt von Hauptmann Adolf Pichler – hier ein letztes Mal ihre Fahne, die sie aus den Kämpfen an den welschen Konfinen zurückgebracht hatte, bevor sie sie dem Kastellan zu treuen Händen übergab.

Wir sind nun raschen Schrittes durch die ältere Tiroler Geschichte marschiert, das Schützenwesen und die Dorf Tiroler Schützen stets im Auge behaltend.
Was das 20. Jahrhundert dem Land Tirol an Schmerz, Schmähung und Verlust gebracht, die zwei Weltkriege, die Zerreißung Tirols, die Unrechtsgrenze, die Option – die Vergewaltigung der Ortsnamen – dass alles wird im Bergfried von Schloss Tirol anhand zahlreicher Zeugnisse für die Nachwelt dokumentiert: ein Mahnmal und Museum in einem.
Das Schicksal der Burg während und nach den düsteren Jahren des faschistischen Regimes gleicht jenem des Schützenwesens: beide wurden zum historischen Relikt degradiert.
1960 dann die Zeichen eines ersten Erwachens: in Dorf Tirol wurde eine neue Schützenkompanie gegründet. Es folgten Jahre der Trauer aber auch der Solidarität mit den gefolterten politischen Häftlingen. Es wurde still um Schloss Tirol, doch im alten Gemäuer pochte das alte Herz weiter: dieses Herz, das nie aufgehört hat zu schlagen, war die Schlosskapelle, wo man in aller Stille die Elisabethmessen weiter feierte – ein klares Bekenntnis zur eigenen Geschichte und christlichen Identität.
Am 23.November 1973 der lang ersehnte Durchbruch: das Stammschloss kehrt im Zuge der Autonomieverhandlungen wieder in die Hoheit Südtirols zurück.
1977 beginnen umfangreiche Restaurierungsarbeiten an der Burg: im selben Jahr nimmt die Schützenkompanie Dorf Tirol seine Tätigkeit wieder auf und uns ist es heute vergönnt, das 40. Jubiläum dieser Neugründung in diesem würdigen Rahmen zu feiern…
Seither haben die Schützen die großen wie auch die vielen kleinen Schritte und Ereignisse, die zur Wiederbelebung der Burg führen sollten, mit ihrer Präsenz und Anteilnahme fürsorglich begleitet.
Sie waren dabei, als am 1. Juli des Gedenkjahres 1984 die beiden Tiroler Landtage hier zu einer gemeinsamen symbolischen Festsitzung einberufen wurden.
Damals sprach Landesrat Zelger diese besonnenen – heute könnte man fast sagen prophetischen Worte: „Nur wer die Geschichte des Landes kennt, in dem er lebt, kann sich darin auch richtig wohl und heimisch fühlen.“ Und der fügte hinzu: „Es muss klar sein für uns Deutsche und Ladiner, dass dieses Land an Eisack und Etsch inzwischen auch Heimat für die italienische Sprachgruppe geworden ist. „Eine versöhnliche Geste, eine Einladung, die wohl zu wenige wahrgenommen haben.
Damals wurde auch beschlossen, die Elisabethmessen wieder als sinnbildliche, gesamttirolische Feier zu gestalten und über die Jahre wurden vom Kulturassessorat immer wieder spezielle Zielgruppen aus ganz Tirol eingeladen und geehrt.
Heute scheinen solche symbolischen Handlungen kein Herzensanliegen der Kulturpolitik mehr zu sein – und so führen nun Schlossverwaltung und Schlosskaplan die Tradition im Alleingang weiter. Dafür sei ihnen gedankt.
Die Schützen waren dabei als im Mai 1989 die Gedenkmesse für die letzte regierende Landesfürstin von Tirol, Kaiserin Zita in der Schlosskapelle stattfand.
Sie waren mit der gesamten „Gmoan“ dabei als 1990 achthunderfünfzig Jahre Schloss Tirol gefeiert wurden (inzwischen wissen wir, dass die Burg um einiges älter ist).
Aus allen Landesteilen strömten sie herbei als 1995 die erste gemeinsame Nord- und Südtiroler Landesausstellung „Eines Fürsten Traum: Meinhard II und das Werden Tirols“ eröffnet wurde – ja die Schützen übernahmen damals den freiwilligen Wachdienst für die ganze Dauer der Ausstellung. Diese Ausstellung war ein großer Wurf, setzte neue Maßstäbe und zugleich die Weichen für das zukünftige Landesmuseum für Kultur – und Landesgeschichte welches 2003 – die Schützen waren dabei –feierlich eröffnet wurde.
Damals hatte man erreicht, dass dem Schloss Tirol der jeweilige Landeshauptmann als Präsident des Verwaltungsrates vorstehen sollte: damit wollte man die einmalige Bedeutung Schloss Tirols als Symbolburg aller Tiroler unterstreichen und auch an die feierliche Aussage anknüpfen, welche die Landstände schon zur Zeit Herzog Friedrichs mit der leeren Tasche gemacht hatten: dass sie nämlich nur jenem Herrn folgen würden, der auch auf der Stammburg das Sagen hatte. Kurzum: Schloss Tirol sollte als lebendes Vorbild der geistigen Einheit Tirols wieder ins Bewusstsein gerufen werden   und als Ort der Begegnung für die Bewohner aller drei Landesteile dienen.

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Die Ehrengäste und der Festredner während der Heiligen Messe

Doch zurück zu den Schützen:
„Fest gemauert in den Erden/Steht die Form aus Lehm gebrannt/Heute muss die Glocke werden/Frisch Gesellen! Seid zur Hand.“
2015 schweißten die Dorf Tiroler Schützen die Bande zu dieser Burg noch fester, indem sie nie neue Pankratiusglocke für den leeren Glockenturm stifteten: ihr heller, freudestrahlender Feierklang – um mit Schillers Worten fortzusetzen – wird auch zukünftige Generationen von Schützen an dieses ehrenvolle Bündnis erinnern.

Und nun, liebe Kameraden, stellt sich die Frage:
Sollen wir heute, wo allein das Wort „Heimat“ so manchen unserer empfindsamen Politiker in Verlegenheit bringt und andere uns als antiquiertes Kuriosum abtun möchten, sollten wir da kleinlaut beigeben und die Flinte ins Korn werfen?
Es sei mir gestattet aus den Grußworten zu zitieren, die ich vor 25 Jahren auf Schloss Tirol anlässlich der Eröffnung der ersten, gemeinsam mit dem Landesmuseum Ferdinandeum gestalteten Ausstellung „Malerische Reise durch Tirol“, an die hier Versammelten richtete:
„Wenn wir nach einem Begriff suchen, der die Erbauer dieser Burg …aus heutiger Sicht am treffendsten charakterisieren könnte, so werden wir nicht weit fehlen, wenn wir dafür den Begriff GROSSZÜGIGKEIT verwenden – oder vielleicht noch besser, das lateinische Wort MAGNANIMITAS, das gewöhnlich mit „Seelengröße“ oder auch „Hochherzigkeit“ übersetzt wird, wo auch der Gedanke an Aufgeschlossenheit, Souveränität und Weitblick mitklingt.
Heute stehen wir vor der ehrenvollen aber auch schwierigen Aufgabe, die Großzügigkeit der Gründer mit etwas Entsprechendem zu erwidern. „

Das war damals…und ist es heute noch.
Wer beim Anblick des Schloss Tiroler Kapellenportales, angesichts der die gesamte Menschheit umfassenden Umarmung des am Lebensbaum Gekreuzigten nicht einen Anflug von Großherzigkeit verspürt, dem ist nicht zu helfen.
Liebe Schützenkameraden: die Antwort auf die Kleinkariertheit, Selbstsucht und Hasenherzigkeit unserer Zeit kann nur sein: lasst uns tief einatmen den Geist dieses Ortes, den Geist Schloss Tirols, auf dass seine Seelengröße unsere Heimat wiederbelebend durchflute.
Nur so wird es uns gelingen, jene Aufbruchstimmung, jenes freudige Gefühl der Zusammengehörigkeit wieder zu erlangen, welches damals herrschte als „Eines Fürsten Traum“ das geteilte Tirol hier wieder zusammenführte.

Schützen Dank!“

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