Unser Land

Ich bin (k)ein Walcrucco!

von Georg Wenter.


Borniert wie ich bin, hatte ich noch vor Kurzem eine ganz klare Vorstellung von meiner (sprachlichen) Identität. Aber dann kam die „Agentur Südtirol Marketing – SMG“ und öffnete mir doch glatt die Augen. Oder vielmehr die Ohren.

Die SMG hat seit letztem Jahr nämlich viele tolle Geschichten zu erzählen. Und weil das auf Englisch noch viel toller klingt, heißt das Ganze auch „Storytelling“. Mit authentischen Geschichten den Lebensraum Südtirol entdecken und diese Geschichten teilen. So nachzulesen auf der offiziellen Website der SMG.

Wie wollen wir künftig leben? Welche Werte sind uns wichtig? Was wird uns in Zukunft bewegen? Diese Fragen will die SMG im Online-Magazin „Was uns bewegt“ beantworten. Dabei verlässt die SMG laut eigenen Aussagen „die Werbewelt, redet dabei nichts schön und konzentriert sich auf Geschichten, die uns Südtiroler charakterisieren.“

Na super! Das klingt ja toll! Und was charakterisiert uns Südtiroler dann so? Zum Beispiel unsere flächendeckende Gemischtsprachigkeit natürlich! Verschiedene Sprachgruppen? Österreichische Minderheit? Tiroler? Oder gar Ladiner? Alles Schnickschnack! Klingt ja auch bieder und langweilig – und kein bisschen hipp und trendy. Für die SMG ist nämlich jeder Südtiroler ein bisschen deutsch und ein bisschen italienisch.
Und einen lustigen Begriff hat die SMG dafür auch noch parat: „Walcrucchi“. Walsche und Crucci also. Sehr originell. Damit kann man das Märchen von der durchgängigen Mehrsprachigkeit auch viel besser verkaufen. Ach pardon, das macht man ja beim Storytelling gar nicht. Da bleibt man ganz authentisch. Und behauptet, dass beide Sprachen erst den Südtiroler Menschen ausmachen.
Aber was ist mit den Südtirolern, deren Muttersprache Deutsch ist und die nicht jeden Tag so „lustige Wörter, gemischte Wörter“ sprechen? Sind dies also gar keine richtigen Südtiroler? Aber so richtig deutsch sind die Südtiroler eigentlich gar nicht, erklärt uns die SMG. Weil die Verbindung nach Norden Österreich war. Und in Österreich spricht man…? Scheinbar nicht Deutsch! Also dann ist das ja auch geklärt.

Georg Wenter
Georg Wenter, Oberleutnant SK Nals

Und dank der SMG weiß ich nun auch, dass immer öfter die „Sprachen in Südtirols Familien durcheinander gehen“. Auch wenn es dazu keine Statistik gibt. Das ist natürlich blöd, aber die SMG kann sich auch mit „Stückwerk“ behelfen. Wie dem Projekt Kolipsi der Eurac aus dem Jahre 2012. Darin gaben von 1.500 befragten Südtiroler Jugendlichen immerhin 15 Prozent an, sich als zweisprachig zu fühlen. Ja, das sind ja wirklich beinahe alle.

Das Ärgerliche bei dem tollen, total authentischen Storytelling ist dann nur, wenn die Realität nicht mitspielt. Und wenn die Urlauber den falschen Werbeversprechen (aber nein, ist ja keine Werbung) der SMG auf den Leim gehen, und dann zufällig auf einen aus den restlichen 85% der Südtiroler treffen. So wie es zum Beispiel Frau A.P. scheinbar öfters passiert. Sie hat nämlich beim Facebook-Auftritt von „Südtirol bewegt“  verärgert kommentiert, dass sie in Südtirol ganz unfreundlich behandelt wird, wenn sie nur italienisch spricht. Da fährt sie lieber ins Aostatal. Na dann,- schönen Urlaub!

Und der SMG weiterhin ein tolles Storytelling! Aber bitte nicht mit politisch oder marketingtechnisch verklärtem, realitätsfremdem Wunschdenken, sondern mit Authentizität!

4 thoughts on “Ich bin (k)ein Walcrucco!

  1. Sehr geehrter Herr Wenter, Oberleutnant der Schützenkompanie Nals, ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Artikel, der nicht nur beweist, dass Sie den Artikel, auf den Sie sich beziehen, sehr selektiv gelesen haben, sondern auch, dass Sie der SMG eine Wortschöpfung zutrauen, die aus viel eloquenterem Munde stammt. Als Verfasserin des Artikels will ich nicht unhöflich sein und Sie einfach auf die Seite verweisen, die Sie in Rage bringt, http://www.suedtirol.info/wasunsbewegt/sprachen, und auf der Sie alle Informationen finden würden, die Sie angeblich vermissen. Ich gebe mir Mühe und helfe Ihnen nun ein bisschen weiter. 1. Der Begriff „Walcrucco“ stammt vom Südtiroler „Die Zeit“-Redakteur Ulrich Ladurner, dies wird auf der Seite in einem Zitat sehr klar herausgestellt. 2. In einer eigenen Infobox wird auf der Seite sehr deutlich die Geschichte Südtirols dargestellt. Auch die Situation der Ladiner wird dort beschrieben. Zu den Ladinern gibt es auf „Was uns bewegt“ übrigens eine eigene Geschichte, http://www.suedtirol.info/wasunsbewegt/ladinisch. 3. Eine Fakten-Box macht die Verteilung der Sprachgruppen in Südtirol deutlich.
    Über Meinungen will ich mit Ihnen nicht sprechen. Da würden wir uns wirklich nicht verstehen. Die Ihre lasse ich in jedem Fall unangetastet. Nur bei den Fakten bin ich empfindlich, damit die Dinge in diesem Land nicht noch verdrehter werden, als sie ohnehin schon sind. Mit besten Grüßen, Gabriele Crepaz

    1. Sehr geehrte Frau Crepaz, Projektleiterin Storytelling,

      ich habe der SMG weder eine Wortschöpfung zugetraut, noch ihr eine solche unterstellt. Ich habe in meinem Kommentar angeführt, dass die SMG den Begriff „Walcrucchi“ verwendet. Also „parat hat“ für die Beschreibung, dass jeder Südtiroler laut SMG (oder laut Ihnen?) ein bisschen deutsch und ein bisschen italienisch ist. Und genau das behaupten Sie ja in Ihrer „Story“.
      An dieser Ihrer Kernaussage ändert auch die Tatsache nichts, dass in dem Artikel auch die Geschichte Südtirols, die Situation der Ladiner und Verteilung der Sprachgruppen angeführt werden. Und genau diese Kernaussage ist es, die ich kritisiere und die nicht der Realität entspricht. Denn auch ich bin bei den Fakten empfindlich: Jeder Südtiroler ist nicht von „beidem etwas“, wie Sie behaupten. Ganz im Gegenteil; nur eine kleine Minderheit fühlt sich als „deutsch“ und „italienisch“ – auch wenn die Mehrheit zum Glück beide Sprachen beherrscht. Aber wenn ich auch spanisch sprechen könnte, macht mich das noch lange nicht zu einem Spanier.

      Soweit zu den Fakten und zu den Dingen, die in diesem Land verdreht werden. Ich spreche übrigens auch gerne über andere Meinungen, auch wenn ich diese nicht teile. Das gehört für mich zu Toleranz und Demokratie.

      Mit besten Grüßen, Georg Wenter

  2. Es gibt auch Menschen, die tatsächlich oder gefühlt zweispraching sind und beide kulturen gut kennen . Es gibt und gab (auch lange vor dem Faschismus) starke kulturelle Einflüsse aus Italien. Aber eben, weil Südtirol kulturell nicht Italien ist.
    SMG sollte eindlich mal aufhören Kulturpolitik zu betreiben, nur um einige Gäste mehr nach Süden einzuholen. Wenn man mit faschistische Ortsnamen und Italienische Kultur (oder jetzt gar mit modern klingende Misch-masch Kultur) bewirbt, leistet man der Heimat nur ein Bärendienst. Braucht Südtirol das? Inwiefern entspricht es die Wahrheit?
    Und wenn das mal zuletzt auch klappen sollte, möchte ich sehn wie froh der Herr Schmidt aus Lübeck ist, wenn er draufkommt dass in Walten gar kein misch-masch „walcrucco“ geredet wird…

  3. Geehrte Frau Crepaz,
    schon die erste Zeile Ihres Posts zeigt eine „Ich-beharre-auf-meinem-Standpunkt“-Attitüde, die eigtl jede Auseinandersetzung mit Ihrem Walcrucchi-Text im Keim ersticken soll. Die weiteren Ausführungen eignen sich noch weniger als Antwort auf Georg Wenter. Schon allein aus dem von Ihnen selbst dargestellte Zitat Ladurners wird ersichtlich, daß der „Zeit“-Journalist keinen neuen Begriff geprägt, sondern eher ein sprachliches Bild gezeichnet hat (gehört übrigens zum journalistischen Instrumentarium im erzählenden Gewerbe). Den Begriff „Faktbox“ finde ich, immer dann, wenn er über den Rahmen einer Aufbereitung auf einer Zeitungsseite hinausgeht, übrigens zum Schmunzeln: Eine derartige Aufzählung ist immer Auswahl und Weglassen unterworfen, suggeriert aber eine „nicht mehr diskutable Wissenschaftlichkeit. Übrigens ist das inzwischen berühmte Zitat von Prof. Franceschini auch aus dem Zusammenhang gerissen. Da ich annehme, daß Sie mit ihr auch mal länger gesprochen haben, wissen Sie, daß sich die Erkenntnisse der Frau Prof. nicht für einen breiten und überall anwendbaren Immersionsunterricht eignen, wie hingegen die Walcrucchi-seite auf südtirol.info suggeriert. Ob sich die gesamte Thematik überhaupt in einem Rahmen von Marketing erleuchtend behandeln läßt, sei einmal dahingestellt, jedenfalls ist die Reaktion von Georg Wenter ein ernsthafter und in sich stimmig argumentierter Widerpart. Der im Übrigen von einem durchschnittlichen Südtiroler (egal welcher Volksgruppe) durchwegs geteilt werden kann. Da nützt auch ein pickiertes „nur bei Fakten bin ich empfindlich“ nichts. Gott sei dank ist Südtirol und die meisten seiner Bewohner im Jahr 2015 mehr als das verkrampfte „Italiener machen auf deutsch. Und Deutsche machen auf Italienisch“-Gehabe. das ist nämlich auch ein Fakt (auch, wenn Sie das nicht sehen oder diskutieren wollen). Mit ebenso freundlichem Gruß, moritz windegger (kein Mitglied im Schützenbund)

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